19. Mai 2020

Rundbrief Mai 2020

Liebe Haiti-Freunde,
nun ist seit dem letzten Rundbrief schon einige Zeit vergangen und all die unerwarteten Entwicklungen rund um den Ausbruch der Covid19-Pandemie haben das Erscheinen eines neuen Briefs erheblich verzögert.
Im letzten Rundbrief war angekündigt, die Hintergründe der seit Monaten andauernden Proteste in Haiti kurz zu beleuchten. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen scheint dies nun fast nicht mehr von Interesse. Da die „Affäre PetroCaribe“ jedoch das Leben in Haiti schon vor Corona-Zeiten zu einem andauernden Ausnahmezustand gemacht hat, werden Ursprung und Auswirkungen der Affäre kurz erklärt. Anschließend berichtet Anneliese über die Auswirkungen der Corona-Pandemie in Haiti und speziell in und um Meyer.
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PetroCaribe
Im Zentrum des Skandals steht das PetroCaribe-Abkommen, das 2005 – lange vor der aktuellen venezolanischen Krise – zwischen Venezuela und diversen Karibikstaaten gegründet wurde (siehe Schaubild rechts). Venezolanisches Öl sollte zum Vorzugspreis und zu Sonderkonditionen an die beteiligten Staaten verkauft werden. Die Erlöse, die diese Länder aus den günstigen Konditionen erwirtschafteten, sollten über einen Fonds im jeweiligen Land für soziale Projekte genutzt werden. Das Problem in Haiti war: Der Fonds wurde von Beginn an von Wirtschaft und Politik massiv ausgenutzt. Durch Korruption und Vetternwirtschaft sollen so seit dem Beitritt Haitis im Jahr 2006 mehr als 3,8 Milliarden Dollar veruntreut worden sein. Besonders problematisch: Insgesamt vier Präsidenten und sechs Regierungen des Landes sollen seit 2006 in diese Machenschaften involviert gewesen sein. Die Demonstrant*innen auf den Straßen Haitis werfen auch dem derzeitigen Präsidenten Jovenel Moïse vor, früher als Privatunternehmer an der Veruntreuung beteiligt gewesen zu sein – was dieser bestreitet. Allerdings gibt es auch an die Adresse der Demonstrant*innen selbst Vorwürfe: Sie seien alle von der Opposition gekauft und würden für die Proteste bezahlt.
Letztlich ist es leider wie immer in Haiti: Es herrscht eine grassierende Korruption zulasten der Bevölkerung und die politischen Verstrickungen sind undurchschaubar. Doch der Aufbau des Landes kommt so oder so nicht voran und das Vertrauen in die Politik(er) wird weiter zerstört.

Der Ausbruch der Corona-Pandemie sowie Verhandlungen des Präsidenten mit der Opposition haben die Demonstrationen aktuell zum Erliegen gebracht. Anfang März wurde mit Joseph Jouthe ein neuer Premierminister eingesetzt (der fünfte seit 2017) und eine neue Regierung unter Beteiligung der Opposition gegründet. Ob diese die Korruptionsvorwürfe klären und das Land in ruhigere Fahrwasser führen kann, wird sich zeigen. Aktuell dominiert, wie überall auf der Welt, auch in Haiti das Corona-Virus den politischen und privaten Alltag.
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Corona in Haiti
Über Flugreisende sowie Pendler zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti ist das Corona-Virus auch in Haiti angekommen. Bisher (Stand: 6. Mai) gibt es laut offiziellen Angaben 1142 Verdachtsfälle, davon 129 bestätigte Fälle, 12 Tote und 16 Geheilte. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer sehr viel höher ist. Viele der wichtigsten Regeln – regelmäßige Handhygiene, Abstand halten, zu Hause bleiben – können in Haiti, genau wie in vielen anderen Schwellen- und Entwicklungsländern, nicht umgesetzt werden. Ein großes Problem sind außerdem die vielen kursierenden Fehlinformationen, gepaart mit Aberglauben und einem generellen Misstrauen offiziellen Stellen gegenüber.

In Meyer und Gerard sind die Schulen und Kirchen seit dem 20. März geschlossen. Die Lehrer*innen und alle Angestellten der ECODEM bekommen ihre Gehälter bisher weiterhin bezahlt und können so ihre Familien auch in dieser Krise versorgen. Die ausfallende Schulspeisung ist für die Schüler*innen jedoch ein Problem, da viele Familien sie nicht vollständig ersetzen können. Die Kinder haben Hunger. Kurz vor Ostern hat Anneliese in fünf Gemeinden Reis ausgegeben. Je nachdem, wie die Lage sich entwickelt, wird das bald noch einmal nötig sein.
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40 Jahre in Haiti
Am 14. Februar 1980 kam Anneliese erstmals in Haiti an, im Oktober desselben Jahres wurde die Gemeinde in Meyer gegründet. Für ihr 40-jähriges Haiti-Jubiläum hat Anneliese einen detaillierten Blick zurück auf die vergangen Jahrzehnte geworfen und die vielen Hochs und Tiefs unter dem Titel „Haiti in der Nussschale“ zusammengefasst. Diesen Rückblick sowie einige Bilder finden Sie direkt auf der Startseite der Website http://foundation-ev.de/.
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Liebe Haiti-Freunde, liebe Spenderinnen und Spender,
Sie sehen, auch und gerade in diesen Zeiten ist das Projekt eine wichtige Stütze im Leben der Menschen. Dafür sind wir weiterhin auf Spenden angewiesen, um Gehälter bezahlen und Lebensmittelhilfen gegebenenfalls ausweiten zu können. Wir bedanken uns herzlich für Ihr andauerndes Interesse und Ihre Unterstützung.