26. März 2022

Rundbrief März 2022

Liebe Haiti-Freunde,

auch wenn es in den hiesigen Nachrichten bezüglich Haiti zurzeit ruhig ist, gibt es dort weiterhin unruhige Zeiten. Politisch tut sich (zu) wenig: Seit der Ermordung des Präsidenten im Juli letzten Jahres sind die politischen Lager zerstritten und nicht fähig, einen Kompromiss zu finden, der aus dem aktuellen Stillstand herausführt. Das wäre jedoch dringend nötig, um das gefährliche Machtvakuum zu beenden, das von den kriminellen Banden gefüllt wurde, die sich bekriegen und die Bevölkerung terrorisieren. Eigentlich hätte am 7. Februar ein neuer Präsident vereidigt werden müssen. Aber wer?

Auch die Aufarbeitung des Präsidentenmordes stockt. Der neue Untersuchungsrichter hat nur zehn Tage nach Übernahme des Falls öffentlich darauf hingewiesen, dass ihm sowohl die Mittel fehlen, die Untersuchung zu leiten als auch, dass er um seine Sicherheit und die seiner Familie fürchtet. „Meine Familie und ich werden nicht weglaufen. Der haitianische Staat wird zur Verantwortung gezogen, wenn mir, meiner Familie oder meinen Mitarbeitern etwas zustößt“ schreibt er in einer Pressenotiz vom 13. März.

Infos von Anneliese aus dem Februar

Annelies schreibt, dass weiterhin die Preise explodieren. Für den nächsten Monat hat sie das Essen beisammen, danach wird man weitersehen müssen. Mit diesem “Fahren auf Sicht” hat sie nun schon einige Routine. Sie berichtet:

„Der Mund ist gespalten, damit wir essen können“, sagt ein Sprichwort hier. Nur wird es schier unbezahlbar für viele. Heute habe ich Brot gekauft. Ein Bäcker aus Trouin kommt jeden Montag und Donnerstag auf dem Weg zum Markt hier vorbei.

Wenn ich was brauche, hänge ich meine gelbe Plastiktasche ans Tor. Er hupt und ich springe. Wie war das mit den kleinen Brötchen backen? Hier werden sie jedenfalls immer kleiner, was nicht unbedingt am Bäcker, aber an der Geldpolitik hier liegt. Hatte einen Sack Mehl vor einem Jahr 450 haitianische Dollar gekostet, wird der heute mit 1000 h$ gehandelt. Für mich sieht das nun so aus:  Die Kochfrauen bekommen jeden Morgen Kaffee oder Tee und Brot. Reichte früher eins müssen es jetzt zwei bis drei Brote sein. Für die Lehrer gilt dasselbe.

Die Schülerinnen und Schüler kommen zur Schule, doch nicht alle Lehrkräfte: Die Banditen blockieren immer noch die Südroute, und LehrerInnen, die durch dieses Gebiet müssen, können die Strecke an manchen Tagen nicht auf sich nehmen. Es ist einfach zu gefährlich.

Und es ist teuer. Woran das liegt, erklärt Anneliese so:

Apropos Transport: Gab es wochenlang kein Benzin an den Tankstellen florierte der Schwarzmarkt umso mehr. Die Folge: Horrende Preise! Der Transport verdoppelte bis verdreifachte sich. Die Banditen, untereinander zerstritten, versuchen sich gegenseitig kontrollierfähige Gebiete abzujagen. Das Resultat: Die Straße wird von den Menschen gemieden und eine „Umgehungsstrecke“ aktiviert, die man nur als unpassierbar bezeichnen kann. Motorradfahrer transportieren alle, die nicht laufen können, krank sind oder es „eilig“ haben. Natürlich zum zehnfachen Preis. Zwei Lehrer von mir sind davon betroffen, so zahlen sie statt 15-20 $H dann 200$H pro Strecke.

Was die hohen Preise und der Geldwertverfall bedeuten, macht Anneliese in einem kleinen Exkurs zum Geld deutlich. Sie schreibt:

Wir haben es hier mit US-Dollar, haitianischen Dollar und Gourdes zu tun. Gourdes ist das haitianische Geld. 1980 war ein US-Dollar fünf Gourdes wert. Es hatte sich eingebürgert, dass ein 5-Gourdes-Schein mit einem 1-Dollar-Schein konform ging. So wurden fünf Gourdes einfach Dollar genannt. Im Laufe der Zeit verlor das Gourdes immer mehr Wert…
Momentan bezahlt man für einen US-Dollar 200 Gourdes!

Bei meinen diversen Abrechnungen habe ich es also mit drei Geldsorten zu tun: Einmal mit Gourdes, zum Beispiel bei Benzin und Baumaterial, dann mit haitianischen Dollar (zum Beispiel heute habe ich das Brot für 50 $H = 250 Gourdes gekauft). Der US-Dollar ist als „dollar vert“ (grüner Dollar) im Umlauf und wird meist für elektronische Sachen gebraucht.

In letzter Zeit ist auch die Erde etwas unruhig und es rüttelt mal etwas mehr mal etwas weniger. Im Norden haben Regenfälle Erdrutsche ausgelöst. Bei Anneliese wurde auf Regen gewartet, jetzt kommt zu viel auf einmal und Überschwemmungen drohen.

Neben den Nachrichten aus Haiti beschäftigt uns derzeit auch der Kriegsausbruch in der Ukraine. Unsere Gedanken sind auch bei den dort Flüchtenden und den vielerorts Helfenden.