24. August 2022

Rundbrief Juni 2022

Liebe Haiti-Freunde,

es wäre schön, einmal keine neuen Hiobsbotschaften verkünden zu müssen, was die politische und soziale Lage in Haiti angeht. Doch leider scheint es immer noch schlimmer werden zu können, und auch offizielle Stellen ringen inzwischen angesichts der entfesselten Bandengewalt um die richtigen Worte.

Zwischen dem 24. April und dem 16. Mai wurden Berichten zufolge bei koordinierten bewaffneten Angriffen in Port-au-Prince mindestens 92 Personen, die nichts mit Banden zu tun haben, sowie etwa 96 mutmaßliche Bandenmitglieder getötet. Mehr als 150 weitere Menschen wurden verletzt, als vermisst gemeldet oder gegen Lösegeld entführt.

Die UN-Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, sagte Mitte Mai angesichts dieser Zahlen: „Bewaffnete Gewalt hat in Haiti ein unvorstellbares und unerträgliches Ausmaß erreicht. Es müssen dringend Schritte unternommen werden, um die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen, die Menschen vor bewaffneter Gewalt zu schützen und die politischen und wirtschaftlichen Hintermänner dieser Banden zur Rechenschaft zu ziehen.“ Sie forderte die Internationale Gemeinschaft nachdrücklich auf, ihre Anstrengungen zu verdoppeln, um zu verhindern, dass die Situation weiter außer Kontrolle gerät.

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Infos von Anneliese aus dem Mai

Währenddessen geht das Leben bei Anneliese weiter. Meyer ist von Port-au-Prince ausreichend weit weg und abgelegen genug, dass das Chaos die Menschen dort nicht direkt erreicht. Die Auswirkungen sind selbstverständlich trotzdem zu spüren – über die hohen Preise und die unsicheren Transportwege haben wir in den letzten Rundbriefen berichtet. Aber die Menschen passen sich den Umständen an – oft haben sie auch kaum eine andere Wahl. Und aus Meyer selbst gibt es tatsächlich auch gute Nachrichten: Im April gab es bei Anneliese in Meyer Lehrerseminare und sie erhielt die Rückmeldung, dass sie sehr kompetente Lehrer und Lehrerinnen an der Schule habe! Das freut uns zu hören!

Vor Ort geht gerade alles auf die Abschlussprüfungen und die Sommerpause zu. Anfang Juni haben die Jahresabschlussprüfungen begonnen. Anneliese schreibt:

Bei uns geht es in schnellem Schritt auf den Schuljahresabschluss hin. Zwischen dem 23. und 25. Mai mussten die Lehrer bei uns die Prüfungsaufgaben einreichen. Ich bin gespannt, wie die staatlichen Prüfungen dieses Jahr durchgezogen werden. Hunderte von Schulen konnten wegen der Banditen nicht bzw. nur minimal funktionieren. Letztes Jahr wurde wegen des Erdbebens unterschiedlich geprüft, aber dieses Jahr scheint es noch schlechter zu sein.

Auch die Schülerinnen und Schüler der Kochschule haben ihre Abschlussprüfung abgelegt. Dafür haben sie auf den umliegenden Märkten in Eigenregie die Zutaten für ihre Kochprüfung zusammengetragen und daraus an mehreren Tagen ein Menü bereitet. Daraus entstand ein – dem Anlass einer Abschlussprüfung angemessen – ganz und gar nicht alltägliches Festmahl aus Mais mit Gemüse, Quiche, Kartoffelgratin und Kartoffelsalat. Anschließend gab es einen Fruchtcocktail, Likör und eine Art Gewürzkuchen mit Zuckerrohrsirup. Lebensmittel, die nicht oder nur in zu kleiner Menge zu kriegen waren, hatte Anneliese aus ihrer Vorratshaltung bereitgestellt.

Die Schulspeisung wird zurzeit alle zwei Monate von der Organisation food for the poor mit 24 Säcken Reis und etwas Bohnen unterstützt. Der Transport im Mai wurde jedoch von den Banden abgefangen und kam in Meyer nicht an. Bis zu den Sommerferien ist die Schulspeisung aber trotzdem gesichert.

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Fußballturnier zum Schulabschluss

Zum Abschluss des Schuljahres wurde ein großes Fußballturnier ausgetragen, zu dem die Schülerinnen und Schüler aller Klassen eingeladen waren. Es war viel los und die Stimmung war gut.

Jetzt verabschieden sich alle in die Sommerpause und im September beginnt ein neues Schuljahr. Wir hoffen auf gute Nachrichten aus dem Land und werden Sie weiter auf dem Laufenden halten!