28. Dezember 2022

Rundbrief Dezember 2022

Liebe Haiti-Freunde,

in Haiti überschlagen sich die Ereignisse, doch hier in Deutschland kommt nicht viel davon an. Vielleicht haben wir mit dem Krieg in der Ukraine, der Energiekrise und dem dritten Corona-Winter selbst genug um die Ohren? Das mag stimmen, doch wie immer sind die Probleme in Haiti ungleich größer: Im Oktober traten das erste Mal seit drei Jahren wieder neue Cholera-Fälle auf, die UN warnen vor einer Epidemie. Die Tagesschau meldet, dass Banden inzwischen die Hälfte des Karibikstaats kontrollieren, darunter so zentrale Infrastruktur wie den Hafen in Port-au-Prince. Das hat zur Folge, dass die Preise für Benzin, Lebensmittel und Trinkwasser explodieren und die Verteilung im Land zum Erliegen kommt. 

Die Rufe nach internationaler Hilfe werden lauter, auch Kritik kommt auf. Die EU-Abgeordnete Caroline Roose erinnert in ihrer Rede im EU-Parlament am 10. Oktober daran, dass dort vor einem Jahr eine Resolution verabschiedet wurde. Sie wird deutlich:

„Haiti versinkt jeden Tag etwas mehr im Chaos. Morde, Vergewaltigungen und Entführungen sind alltäglich (…). Das Land kollabiert unter den Augen der Internationalen Gemeinschaft (…). Welchen Vorwand werden wir noch anführen, um unsere Untätigkeit zu rechtfertigen?“

Den USA wirft sie vor, ein doppeltes Spiel zu spielen und internationales Recht zu verletzen, wenn sie trotz der verheerenden Situation noch immer Haitianer:innen ausweisen, die Asyl suchen.

Kritik an der Internationalen Gemeinschaft kommt auch aus Haiti selbst: Vélina Élysée Charlier von der Nichtregierungsorganisation Nou Pap Dòmi erinnert daran, dass sowohl die USA als auch die UN den Interims-Premierminister Ariel Henry unterstützen, der bis heute demokratisch nicht legitimiert ist. Henry, eigentlich seit der Ermordung Moïses im Juli 2021 nur übergangsweise im Amt, verhindert seitdem die versprochenen Neuwahlen.

Inzwischen hat Haiti die UN offiziell um Hilfe gebeten. UN-Generalsekretär António Guterres hat sich für eine internationale Eingreiftruppe ausgesprochen, die die haitianische Polizei im Kampf gegen die Banden unterstützen soll. Kanada soll sich kürzlich bereit erklärt haben, den Vorsitz zu übernehmen. Der Beginn dieser Hilfsaktion ist allerdings unklar.

Wege heraus aus dieser vielschichtigen Problemlage sind kompliziert. Eine Initiative, das Montana-Agreement aus dem August 2021, wird im nächsten Rundbrief ausführlicher vorgestellt.

Infos von Anneliese seit Oktober

Die Verhältnisse haben auch Einfluss auf das Leben bei Anneliese. Mitte Oktober, nachdem eine landesweite, mit den Banditen vereinbarte Lockerung der Ausgangssperren gescheitert ist, berichtet sie:

Schule fällt dadurch erneut flach, Autos und Motorräder werden kontrolliert bzw. um einen Obolus erleichtert, Benzin geht zum x-ten Mal durch die Decke. Zu kaufen gibt’s fast nichts mehr, man nimmt, was man bekommt (man hat keine Wahl). Die Banken öffnen während drei Tagen pro Woche. Wer hingeht, muss mit Flaschen- und Steinwürfen rechnen. Ich konnte das erste Mal seit über 40 Jahren die Lehrer und Lehrerinnen nicht ganz bezahlen, weil es zu gefährlich war, alles Geld auf einmal abzuheben und nach Meyer zu bringen.

Mitte November sind die Schulen noch immer nicht offen. Auch bei Anneliese findet kein Unterricht statt. Zum einen können die Lehrer aus der Stadt aufgrund der Benzinpreise und der Straßensperren nicht kommen. Zum anderen sind die Ressourcen der Familien vollständig aufgebraucht: es gibt kein Geld für Schulmaterial oder das bei
Anneliese sowieso nur symbolische Schulgeld.

Spendenläufe ermöglichen Reisaktion

Trotzdem gibt es Möglichkeiten, Gutes zu tun. So wurden im Oktober rund 500 Familien durch jeweils einen Sack Reis unterstützt. Finanziert wurde diese Aktion durch einen Schul-Spendenlauf in Annelieses Heimatort Münstertal. Die Schülerinnen und Schüler konnten über 20.000€ erlaufen! Von einem Teil des Geldes wurden der Reis und der Transport bezahlt. Auch an anderen Orten überall in Deutschland finden immer wieder Spendenaktionen für Annelieses Arbeit in Haiti statt. An diesem Beispiel kann man sehen, was der Einsatz so vieler Spenderinnen und Spender bewirkt. Wir wollen das zum Anlass nehmen, allen Privatleuten, Firmen, Einzel- und Dauerspendern ganz herzlich zu danken! Ohne Sie und Euch wäre es nicht möglich, die Menschen in Meyer und Umgebung auch in diesen schwierigen Zeiten so zu unterstützen!

———————————————————————————–

Besinnlichen Advent und frohe Weihnachten

Wir wünschen Ihnen ein gutes Jahresende mit möglichst wenigen
Sorgen. Kommen Sie gesund und warm durch den Winter und starten Sie gut in das neue Jahr 2023.