15. April 2023

Rundbrief April 2023

Liebe Haiti-Freunde,

wie im letzten Rundbrief versprochen, wird heute das Montana-Abkommen kurz vorgestellt:

Das Abkommen wurde Ende August 2021 im namengebenden Hotel Montana in Haiti unterschrieben. Es ist ein Versuch, dem Land zu einem politischen Neuanfang zu verhelfen. Daran beteiligt waren viele zivilgesellschaftliche Organisationen, Parteien und politische Gruppen, in der Hoffnung, dass die Ergebnisse von einer breiten Mehrheit im Land anerkannt und getragen werden.

Der Plan war, zunächst einen Nationalen Übergangsrat zu gründen, der 2022 dann eine Übergangsregierung mit zweijähriger Amtszeit wählt. Diese sollte für das Jahr 2024 freie und faire Neuwahlen organisieren. So sollte das unerträgliche politische Patt beendet werden, in dem sich das Land seit der Ermordung Jovenel Moïses im Juli 2021 befindet und in dem die großen politischen Lager den jeweils anderen jede Legitimität absprechen.

Doch natürlich gibt es, wie immer, auch hier zwei Seiten: Die, die das Abkommen hoffnungsvoll befürworten und die, die es vehement ablehnen. Annelieses Mitarbeiter Silien Blindy hat einen detaillierten Abriss über die Entstehung und die Inhalte des Abkommens geschrieben. Er fasst zusammen:

„Kurz gesagt, für seine Befürworter ist das sogenannte Montana-Abkommen, das „Ergebnis monatelanger Arbeit“, „das umfassendste, konsensfähigste, ausgefeilteste und radikalste Abkommen, da es auf einen Übergangszeitraum von 24 Monaten abzielt, um den Staat neu zu gründen“. Für seine Kritiker ist es jedoch nur ein Trick der mafiösen Opposition, um weitere zwei Jahre an der Macht zu bleiben, um den Oligarchen lukrative Aufträge zu erteilen und von den wirtschaftlichen Vorteilen zu profitieren, (…).“

Die vorgesehene Wahl durch den Nationalen Übergangsrat erfolgte planmäßig im Januar 2022. Doch der seit 2021 regierende Interimspremier Ariel Henry erkannte das Wahlergebnis des Übergangsrates nicht an und weigerte sich, die Macht abzugeben. Damit ist das Montana-Abkommen in seiner ursprünglichen Form gescheitert.

An diesem Verlauf zeigt sich wieder die tiefe Zerrissenheit des Landes: Es gibt keinen Kandidaten der Mitte und nicht einmal ein Vorgehen, auf das sich alle einigen könnten. Das Misstrauen zwischen den jeweiligen politischen Seiten ist, nach den chaotischen Ereignissen der letzten Jahre, zu groß.

Die Situation im Land

Inzwischen gibt es schätzungsweise 200 verschiedenen Banden, die Hauptstadt Port-au-Prince wird zu mindestens 60% von kriminellen Vereinigungen kontrolliert. Erst kürzlich hat das UN-Büro Haiti zur Bande namens Baz Gran Grif Stellung genommen, die ihre Gewalttätigkeit auch ins Umland ausweitet und durch große Brutalität auffällt.

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen sah sich Mitte März gezwungen, ihr Krankenhaus im Stadtteil Cité Soleil zu schließen, da die bewaffneten Konflikte direkt vor der Tür ausgetragen wurden.

Ariel Henry hat angekündigt, das haitianische Militär im Land einsetzen zu wollen. Seine Rufe nach internationaler Unterstützung hatten bisher keine Effekte. Die Bevölkerung lehnt eine internationale Einmischung, auch aus den Erfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte, strikt ab.

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Infos von Anneliese: „Im ganzen Land herrscht Wassernot.“

Die Trockenheit macht wieder große Probleme. Anneliese schrieb Anfang März, dass ihre drei großen Wasserfässer, die je 1500l fassen, fast alle leer seien. Die schmutzige Wäsche könne warten, doch das saubere Wasser fehle vor allem zum Kochen, so dass es phasenweise keine Schulspeisung geben konnte.

Leider gibt es weitere schlechte Neuigkeiten. Im Januar ist Marcelle, die Frau von Annelieses langjährigem engen Mitarbeiter Mackensy, nach langem Kampf ihrem Brustkrebsleiden erlegen. Sie wurde 51 Jahre alt und hinterlässt ihren Mann und fünf Kinder zwischen 6 und 17 Jahren.
Jhon, der an der ECODEM schon viele Jahre für Reparaturen zuständig ist, hatte einen Motoradunfall. Ein Tankwagen hat die Kurve geschnitten und ihn erwischt. Ihm musste das Bein abgenommen werden.

Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns noch die Nachricht, dass es endlich Regen gab: „Vorgestern und vergangene Nacht hat es bei uns geregnet. So richtig zum Pflanzen. Mal sehen, ob heute Nacht noch etwas kommt. Wir hatten zwei Wochen keine Speisung, weil kein Wasser da war. Inzwischen sind die drei Tonnen gefüllt und damit eine Woche mit Essen gesichert.“ schreibt Anneliese.

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Frohe Ostern

„Ein Sonnenstrahl reicht hin, um viel Dunkel zu erhellen“, soll Franz von Assisi gesagt haben. In diesem Sinne hoffen wir, dass das Osterlicht auch in Haiti für etwas Helligkeit in schweren Zeiten sorgen kann. Wir danken für Ihre und Eure Unterstützung und das fortwährende Interesse an Land, Leuten und Annelieses Arbeit.